Lachnummer: Krankenstand ist Schuld an Rezession

Haben Sie es schon gehört? Die Rekord-Krankenstände im Jahr 2023 ließen Deutschland in die Rezession rutschen. Auf dieses Ergebnis ist man Ende Jänner 2024 durch die Auswertung verschiedenster Krankenkassen in Deutschland gekommen. Durchschnittlich viel jede erwerbstätige Person für 20 Tage aus. Somit hat das Jahr 2023 bei den versicherten Erwerbstätigen einen Rekordwert erreicht. Die deutsche Wirtschaft ist um 0,3 Prozent geschrumpft bzw. hat 26 Milliarden Euro weniger erwirtschaftet. Tragisch oder?

Wenn es nicht so tragisch wäre, wäre es der Titel und der begleitende Text auch eine bühnenreife Comedy-Show. Denn Krankenstand ist niemals eine Ursache für etwas, sondern ein Symptom einer tieferen Problematik. Und wenn man sich mit dem Symptom näher beschäftigt, dann wird man schnell feststellen, dass es ganz woanders krankt, nur nicht bei den Arbeitnehmern an sich:

Die gestiegenen Krankenstände sind ein deutliches Signal an Politik und Wirtschaft, dass etwas im Argen liegt. Experten vermuten, dass die steigende Belastung am Arbeitsplatz, der zunehmende Stress und die unzureichenden Erholungsphasen maßgeblich zu diesem Phänomen beitragen. Die Statistiken zeigen, dass vor allem psychische Erkrankungen wie Burnout, Depressionen und Angststörungen zugenommen haben. Diese Entwicklung ist alarmierend und kann nicht länger ignoriert werden.

Während man in Österreich sich noch vehement gegen die Einführung und auch Diskussion einer 32h Woche wehrt (WKO: Bei Arbeitszeitverkürzung kollabiert das ganze System und WKO: arbeiten muss sich mehr auszahlen #meinearbeit), so geht man in Deutschland einen Schritt weiter und nimmt zumindest mehrere Argumente in Betracht (Handelsblatt: Wie die 32-Stunden-Woche der Wirtschaft helfen kann, SR1: 4-Tage-Arbeitswoche : Ein Test mit erstaunlichem Ergebnis). Tatsache ist, dass die Krankenstandstage nicht von ungefähr kommen und auch nicht weiter unbeachtet werden sollten.

Es ist an der Zeit, dass Unternehmen und politische Entscheidungsträger umdenken. Gesundheitsförderung und Prävention müssen stärker in den Fokus rücken. Flexible Arbeitszeitmodelle, Homeoffice-Optionen und Programme zur Stressbewältigung sind nur einige der Maßnahmen, die in Erwägung gezogen werden sollten.

Darüber hinaus ist es wichtig, dass die Gesellschaft als Ganzes ein neues Verständnis von Arbeit entwickelt. Wir müssen uns von dem Gedanken lösen, dass ständige Verfügbarkeit und übermäßige Arbeitsbelastung Zeichen von Engagement und Erfolg sind.

Kann eine 32h Woche der Wirtschaft helfen?

Die Argumente gegen die Einführung einer 32-Stunden-Woche in Österreich, wie sie von der Wirtschaftskammer vorgebracht werden, lassen sich aus mehreren Perspektiven herausfordern.

  1. Steigerung der Produktivität: Es gibt Studien, die darauf hindeuten, dass kürzere Arbeitszeiten die Produktivität steigern können. Mitarbeiter sind oft motivierter, fokussierter und weniger anfällig für Burnout, wenn sie weniger Stunden arbeiten. Dies bedeutet im Umkehrschluß, dass die gleiche Menge an Arbeit in kürzerer Zeit erledigt wird, wodurch der befürchtete Verlust an Arbeitsstunden gemindert wird.
  2. Anziehungskraft auf Fachkräfte: Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Attraktivität des Arbeitsmarktes. Eine 32-Stunden-Woche könnte Europa, insbesondere Deutschland und Österreich, für Fachkräfte attraktiver machen. Eine ausgewogene Work-Life-Balance hat mittlerweile mehr Gewichtung für Fachkräfte, als ein höherer Gehaltsscheck. Dadurch ergeben sich auch flexible und notwendige Lösungen, um beispielsweise von Montag bis Mittwoch oder Donnerstag zu arbeiten und dann die restlichen drei Tage bei der Familie zu verbringen.
  3. Gesundheit und Wohlbefinden der Arbeitnehmer: Der Gesundheitsaspekt ist ebenfalls nicht länger zu unterschätzen. Durch die Reduzierung der Arbeitszeit könnten Krankenstände und damit verbundene Kosten für Unternehmen und Wirtschaft reduziert werden.
  4. Wandel der Arbeitswelt: Die Argumentation der WKO berücksichtigt nicht ausreichend den rasanten Wandel der Arbeitswelt durch Digitalisierung und Automatisierung. Diese Entwicklungen könnten viele der traditionellen Rollen verändern oder sogar überflüssig machen, was wiederum die Notwendigkeit einer Anpassung der Arbeitsstunden nach sich zieht.
  5. Teilzeitbeschäftigung und wirtschaftliche Effekte: Die Zunahme der Teilzeitbeschäftigung, die von der WKO erwähnt werden, kann auch als eine natürliche Anpassung an die Bedürfnisse der modernen Gesellschaft und Wirtschaft gesehen werden. Es ist möglich, dass ein flexibleres Arbeitszeitmodell, das Teilzeitbeschäftigung fördert, zu einer vielfältigeren und resilienteren Wirtschaft führt.
  6. Langfristige Nachhaltigkeit: Schließlich geht es bei der Einführung einer 32-Stunden-Woche nicht nur um kurzfristige wirtschaftliche Zahlen, sondern auch um die langfristige Nachhaltigkeit des Arbeitsmarktes und der Gesellschaft. Ein Gleichgewicht zwischen Arbeits- und Privatleben ist entscheidend für die Aufrechterhaltung einer gesunden, funktionierenden Gesellschaft.

Warum die 32h Woche nichts mit einem Fachkräftemangel zu tun hat

Der Fachkräftemangel in Österreich, wie in vielen anderen Ländern auch, ist primär auf strukturelle Defizite im Bildungs- und Ausbildungssystem zurückzuführen, nicht auf die Arbeitszeitregelungen. Ein Blick auf die Statistiken offenbart, dass bestimmte Industrien und Sektoren, insbesondere in den Bereichen Technologie, Ingenieurwesen und Gesundheitswesen, konstant einen Mangel an qualifizierten Arbeitskräften erleben. Die OECD hat in mehreren Berichten darauf hingewiesen, dass die Anforderungen der modernen Arbeitswelt oft nicht mit den Fähigkeiten übereinstimmen, die in traditionellen Bildungseinrichtungen vermittelt werden. Dieses Missverhältnis ist ein zentrales Problem.

Ein konkretes Beispiel ist der IT-Sektor. Laut dem Fachverband UBIT der Wirtschaftskammer Österreich fehlen im Land Tausende IT-Experten. Dies liegt nicht an der Anzahl der Arbeitsstunden, sondern an der unzureichenden Anzahl an Absolventen mit den erforderlichen Qualifikationen und Fähigkeiten in diesem Bereich. Ein weiteres Beispiel ist der Gesundheitssektor, in dem es an qualifizierten Pflegekräften mangelt. Die Ursache hierfür liegt weniger in der Arbeitszeit als vielmehr in der mangelnden Attraktivität des Berufs, bedingt durch Faktoren wie Arbeitsbelastung, Bezahlung und Karrierechancen.

Ein weiterer Faktor, der den Fachkräftemangel verstärkt, ist der demografische Wandel. In Österreich, wie in vielen europäischen Ländern, führt eine alternde Bevölkerung zu einem natürlichen Rückgang der Arbeitskräfte. Dieser Umstand wird durch die aktuelle Bildungs- und Ausbildungspolitik nicht ausreichend adressiert.

Man kann also erkennen, dass die Einführung einer 32-Stunden-Woche wenig Einfluss auf den bestehenden Fachkräftemangel hat. Vielmehr sollten die Bemühungen darauf gerichtet sein, die Bildungs- und Ausbildungssysteme zu reformieren und an die sich verändernden Anforderungen des Arbeitsmarktes anzupassen, um das bestehende Missverhältnis zwischen den Fähigkeiten der Arbeitskräfte und den Bedürfnissen der Wirtschaft zu überbrücken.

Diskussionen ohne Ergebnisse

Wie Sie sehen, sind wir jedoch noch lange nicht an einem Punkt angekommen, bei dem wir von einer Änderung oder einem Ergebnis reden können. Als derzeitige Ursache wurde nun aktuell der Krankenstand identifiziert und nicht dessen Auslöser und Gründe. Das ist ungefähr so, als ob Ihr Zahnarzt Ihnen Schmerztabletten verschreibt und Ihnen die Entzündung an Ihrem Zahn erklärt, anstatt diesen entsprechend zu behandeln oder zu entfernen. Eine Lachnummer, finden Sie nicht auch?

Ich hoffe für Sie, dass Ihr Unternehmen nicht mehr über Krankenstandstage diskutiert, sondern Maßnahmen entwickelt hat, diese a) abzufangen und b) bestmöglich zu vermeiden. Denn dann sind Sie auf einem guten Weg, die Ursache für so manche (etwaige) Mißstände zu entdecken.

Ronny Kühn
Autor, Content Creator, Unternehmer
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